Weißes Gold

Auf dem Salzweg im Kanton Waadt |www.deutschlandfunk.de|

Die Entdeckung von Salz war in der West-Schweiz im 15. Jahrhundert eine Sensation. Vorher mussten die Eidgenossen das kostbare weiße Gold importieren. Heute kann man sich auf die Spuren des unterirdischen Schatzes begeben.

Von Katja Lückert

Auch die West-Schweiz liegt bekanntlich nicht am Meer, aber vor 200 Millionen Jahren war das heutige Rhone-Tal selbst ein Flachmeer. Alpen türmten sich auf und das Salzwasser von einst ist heute gewissermaßen als getrockneter fossiler Rest im Felsgestein eingeschlossen. Ein unterirdischer Schatz, dessen Entdeckung im 15. Jahrhundert eine bahnbrechende Sensation war.

„Du sel, c‘est du sel, du sel.“

Sandrina Cirafici ist Archäologin und Initiatorin des Schweizer Salzwegs im Kanton Waadt. Sie hat uns in einen Mischwald in der Nähe des kleinen Ortes Ollon geführt. Es ist noch früh am Morgen, Nebelschwaden ziehen durch die Bäume – auch das trägt dazu bei, dass die Szenerie fast ein wenig unwirklich erscheint.

Sandrina Cirafici trägt einen langen Rock, eine Spitzenbluse und einen Weidenkorb im Arm. Der Aufmachung nach spielt sie eine Bauersfrau aus dem Dorf. Die Führung auf einem Kulturwanderweg wird unversehens zum Freilufttheaterstück.

„Hier ist es gewesen, hier ist mein Mann Jean verschwunden. Man hat nie erfahren, was ihm zugestoßen ist. Wo bist Du? Was erzählst du von Zwergen? Ein Schatz, und Du hast ihn entdeckt?“

Der Sagendichter Alfred Cérésole verfasste im 19. Jahrhundert die Geschichte von Jean du Bouillet, einem Viehhirten, der eines Tages beobachtete, dass seine Schafe das Wasser aus einer bestimmten Quelle bevorzugen. Er kostete und fand das Wasser schmecke salzig. Schließlich folgte er der Quelle und traf in einer Grotte drei Zwerge um ein Feuer versammelt. Er zündete sich eine Pfeife an und setzte sich zu ihnen. Die Zwerge verrieten sie ihm, dass das weiße Pulver auf ihren Jacken zu einem Schatz gehöre, einem Schatz, der unter ihren Füßen liege.

„Du sel, de l’or blanc sous nos pieds.“

Ob das sogenannte weiße Gold, wie man das begehrte Salz, das man bis dato aus Frankreich und Italien in die Schweiz importieren musste, bezeichnete, wirklich von einem Mann namens Jean gefunden wurde, ist nicht sicher. Doch sicher sei, dass hier, genau hier an diesem unscheinbaren Platz in leichter Hanglage im Wald, gewissermaßen der Originalschauplatz sei, an dem die Geschichte des Salzabbaus in der Schweiz begonnen habe, erklärt Sandrina Cirafici.

„Wir befinden uns hier an dem Ort, wo man das sogenannte weiße Gold zuerst gefunden hat. Die Geschichte ist fast fünf Jahrhunderte alt, wir schreiben das Jahr 1554.“

Nachdem die Berner Ende des 15. Jahrhunderts die Region erobert hatten, begannen sie mit der Ausbeutung der salzigen Quellen. Die Sole wurde in riesigen Pfannen auf Holzfeuern zum Kochen gebracht. Nach dem Verdampfen blieb das Salz übrig. Als die Quellen langsam versiegten, begann man Ende des 16. Jahrhunderts Stollen zu graben, später spritzte man Wasser in die Stollen, um die Sole zu gewinnen. Heute durchzieht ein über fünfzig Kilometer langes Labyrinth von Gängen und Schächten den Berg – rund 10.000 Tonnen Salz werden hier pro Jahr abgebaut.

Nun mischt sich auch Pierre Yves Pièce ein. Er ist von Beruf Informatiker, doch heute trägt er eine weiße Perücke im Stil des 18. Jahrhunderts.

„"Ich bin der Direktor des Salzbergbaus, mein Name ist Isaac Gamaliel de Rovéréa. Ich kann Ihnen die Gegend auf einigen zeitgenössischen Karten zeigen. Hier sieht man, dass dieser Berg von Stollen durchzogen ist. Wir befinden uns jetzt genau hier am Eingang dieses Tunnels, der von hier aus in den Berg führt.“

Wir beugen uns über die Landkarte und schauen uns wieder um, blicken in den Wald, wo sind hier die Tunnel? Kann es sein, dass dieser ganze Salzweg nur in unserer Fantasie begangen werden soll?

„Wenn Sie nach rechts schauen, sehen Sie, dass hier eine Plattform entstanden ist. Das sind die Steine, die die Mineure aus dem Berg geholt und hier vor dem Tunnel abgelegt haben. Mit der Zeit bildete sich eine Art Terrasse. Man sieht es hier ganz gut auf dem Plan, den der deutsche Ingenieur Albert Ginsberg, er stammte aus Bendorf, gezeichnet hat. Er arbeitete viele Jahre in den Minen und hat diese hübsche kleine Zeichnung angefertigt, aus der man ziemlich genau entnehmen kann, wo man ist. Hier dieses kleine Haus gibt es nicht mehr, aber man sieht den Eingang zum Stollen.“

Wir steigen einige Hundert Meter ins Tal und stehen plötzlich tatsächlich vor einem Tunneleingang, er ist nur knapp anderthalb Meter hoch und von Moos und Pflanzenranken bewachsen. Wir bekommen einen Helm auf den Kopf und dann müssen wir dem ehemaligen Minendirektor folgen. Mit Hammer und Meißel haben sich die Salzbergbauer in den Felsen vorgearbeitet. Fünf Meter pro Monat.

„Ein Mann rechts, ein Mann links, so kamen die Arbeiter damals voran.“

Wir gehen einen Meter pro Minute, der Gang umschließt uns eng, die Taschenlampen bieten sicher etwas mehr Licht als die Öllampen früherer Zeiten – aber die Spinnen an den glitschigen Wänden – nicht jeder mag bis zu der großen Halle am Ende des Gangs gehen. Dort befand sich einst ein Reservoir für das aufgefangene Salzwasser. Wieder zurück an der frischen Luft erklärt Pierre Yves Pièce, wie man im 18. Jahrhundert versucht hat, die durch Grubengas verursachten Unfälle im Berg zu verhindern. Er hält eine Voliere hoch.

„Die Bergleute hatten einen solchen Kanarienvogel bei sich, und wenn sie gemerkt haben, dass sich der Vogel nicht mehr auf der Stange halten konnte, haben sie schnell die Mine verlassen.“

Der Salzweg in der Waadt führt über eine Länge von zwölfeinhalb Kilometern von Ollon zu den Salinen von Bévieux in der Nähe von Bex, wo auch heute noch ein Salzbergwerk besichtigt werden kann. An verschiedenen Stationen erfährt man etwas über die Geschichte des Salzabbaus. Wie zum Beispiel die Sole aus den salzhaltigen Felsen gelaugt und in dreißig Kilometer langen Röhren aus Lärchenholz aus dem Berg geleitet wurde und später auf Strohspeichern getrocknet wurde. Das salzige Wasser in der Waadt hat viele Künstler und Intellektuelle aus ganz Europa angezogen – von Viktor Hugo über Alexandre Dumas bis Friedrich Nietzsche – sie alle kamen zum Kuren und Baden nach Bex.

Ohne Salz wäre alles fad, davon künden geflügelte Worte wie: „Das Salz in der Suppe“. Man bringt Brot und Salz in einen neu gegründeten Haushalt. In früheren Zeiten legte es man sich in die Schuhe oder streute es den Ziegen zwischen die Hörner, um sie vor Unheil und Krankheit zu bewahren.

„Siehst Du, das hier ist magisches Salz, das Du nirgendwo findest. Wenn Du Geister abhalten willst oder schlechte Träume vertreiben, dann wirfst Du einfach ein Körnchen davon über deine Schulter.“

Kein Wunder, bei dieser durchaus ungewöhnlichen Führung darf ein wenig magisches Salz zum Abschied nicht fehlen. Sandrina bewahrt es in einem Streichholzschächtelchen auf, es ist lila und mit verräterisch nach 21. Jahrhundert aussehenden Foliensternchen durchzogen.
Und dennoch, der Salzweg eignet sich auch für jüngere Besucher, sie sollten gut zu Fuß sein und ein wenig Französisch verstehen, dann wird die Wanderung durch den Wald von Ollon ein würziges Abenteuer.